/// DER WANDEL IM MITTELSTAND STEHT BEVOR –
KI UND DIGITALISIERUNG VERÄNDERN GESCHÄFTSMODELLE RASANT
Der Kostendruck für die Unternehmen steigt aufgrund der Energiepreise, der Rohstoffe und der vereinbarten Mindestlöhne deutlich, der Auftragseingang verläuft nur schleppend und die Kapazitätsauslastung in allen Industriesegmenten ist dadurch signifikant geringer als in 2022 (siehe ifo-Institut 2023). Die regulatorischen Auflagen werden dank ESG nicht kleiner, die Investitionen in den Standort Deutschland sinken (siehe Deutsche Bundesbank 2023), Forschungs- und Entwicklungsetats werden gekürzt und die deutsche Volkswirtschaft befindet sich nach wie vor in einer Rezession. Die HRI-Konjunkturprognose geht von einem Wachstum von 0,2% in 2024 und nur noch 0,6% in 2025 aus (Handelsblatt Research Institute, Januar 2024). Ein „weiter so“ in Deutschland wird nicht mehr lange gutgehen, denn viele Unternehmensstrukturen benötigen einen radikalen Umbruch.
Sowohl die deutsche Industrie als auch die Politik hat eine essentielle Aufgabe: Die Zukunftsfähigkeit des Standortes Deutschland nachhaltig zu sichern. Welche Maßnahmen setzen die Unternehmen aktuell um? Häufig arbeiten Unternehmen am fünften Kostensenkungsprogramm seit Corona, um noch halbwegs das Quartalsergebnis zu retten. Dazu ein Bonmot von Jeff Bezos:
„As a senior executive you get paid for making a small number of high quality decisions per day. Our executives work in the future, live in the future and non of them should be focused on the current quarter”.
Zum einen müssen Kosten gesenkt werden, vielfach werden dabei die Produktionsstätten ins Ausland verlagert. Zum anderen sollte der „Revenue Stream“ im Fokus stehen, um durch Einsatz von KI und digitalen Prozessen neue Geschäftsmodelle oder Technologie-Führerschaften aufzubauen. In Anbetracht der rasanten Entwicklungen in den digitalen Sektoren sind innovative Ansätze von grundlegender Bedeutung, um langfristig zukunftsfähig zu bleiben. Sie ermöglichen es Unternehmen, nicht nur mit aktuellen Trends Schritt zu halten, sondern auch vorauszusehen, wie sich Technologie und Markt in der Zukunft entwickeln werden. Dadurch können sie sich entsprechend positionieren, um neue Geschäftsmöglichkeiten zu erschließen, die ihre Wachstumsambitionen unterstützen.
Es beginnt dabei mit der Besetzung und der Zusammenarbeit zwischen Aufsichtsrat / Beirat sowie Vorstand / Geschäftsführung. Insbesondere in mittelständischen Unternehmen existiert das Family & Friends Programm in Beiräten immer noch, eine fachliche Expertise mit digitalem Spezialwissen ist in diesen Gremien oft die Ausnahme.
Die Ausgangssituation: Viele traditionsreiche deutsche Unternehmen sind vom Radar verschwunden. Gleichzeitig fahren Unternehmen aus den USA und Fernost mit den gleichen oder nahezu ähnlichen Produkten und Dienstleistungen Rekordumsätze ein.
Einige Beispiele:
- Air Berlin (bis 2017 zweitgrößte Fluggesellschaft)
- Kirch-Gruppe (Medien)
- Mannesmann (Stahl, Mobilfunk D2)
- Neue Heimat (Immobilien)
- Nixdorf (Computer)
- Schering (Pharma)
- Solarworld (Energie)
Auch in den USA erleben wir dieses Phänomen: General Motors rangierte Jahrzehntelang als Nr. 1 unter den „Fortune 500“. GM liegt jetzt nur noch auf Platz 49 (hinter Toyota, VW, Ford und Honda).
Deutschland war im zwanzigsten Jahrhundert wirtschaftlich und industriell unbestritten Weltklasse. Aus Deutschland stammen u.a.:
- das erste Elektroauto (Flocken 1888 in Coburg)
- der erste funktionsfähige Computer weltweit (Konrad Zuse 1941 in Berlin)
- das erste autonom fahrende Auto (Ernst Dickmanns mit Continental / Daimler 1987).
Heute sind führend in diesen Bereichen: Apple, Dell, Lenovo, MobilEye, Waymo, NVIDIA und Tesla.
Tech-Unternehmen wie Amazon, Apple, Microsoft, Meta, Alibaba, NVIDIA, Alphabet (Google) etc. haben Börsenwerte, von denen deutsche Unternehmen nur träumen können. Alle Unternehmen der Top 6 liegen in ihrer aktuellen Marktkapitalisierung bei mehr als 1 Billion Euro.
Fast jedes Unternehmen in Deutschland sollte folgerichtig einen Prozess des „Wandels“ durchlaufen. Monatelang oder jahrelang darauf zu warten, dass die Führungsetage oder der Vorstand beginnt, alte Strukturen, falsche Anreizsysteme oder deckungsbeitragsschwache Produkte und/oder Vertriebskanäle aufzugeben, ist keine zielführende Strategie. Die Kultur in den Unternehmen sollte sich so verändern, dass bahnbrechende Ideen und Innovationen entwickelt werden, die das Unternehmen um das zigfache wachsen lassen können. Neue Geschäftsfelder werden kaum oder nur zögerlich beschritten, da die Finanzmittel knapp sind, dabei gibt es durchaus erfolgversprechende Entwicklungen. Das Pharma-Unternehmen Biontec in Mainz ist ein positives Beispiel hierfür.
McKinsey hat in einer Befragung von 5.000 Führungskräften und Arbeitnehmern eine deutliche Einschätzung der Befragten zum bevorstehenden Wandel erhalten. Insgesamt gehen 43% der Befragten davon aus, dass Deutschland ein signifikanter Wandel bis 2030 bevorsteht.
Die Herausforderung: Der deutsche Mittelstand steht vor der dringenden Aufgabe, die eigene Konkurrenzfähigkeit auch in Zukunft zu erhalten. Das Problem lässt sich auf einen Nenner bringen: Das Bewahren des Status Quo, die Problematik aufgrund der Anreizsysteme unternehmerisch und langfristig zu denken, es fehlt an Entscheidungsfreudigkeit, an mangelnder „Awareness“, am starren Mindset und an dem Mut des Ausprobierens sowie an nicht mehr zeitgemäßen hierarchischen Strukturen. Die extreme Schnelligkeit, in der sich mittlerweile Geschäftsprozesse aufgrund des globalen Einsatzes von KI und Digitalisierung verändern, wird vielfach einfach nicht registriert.
Natürlich dürfen die klassischen Steuerungsmaßnahmen im Aufsichtsrat / Beirat nicht zu kurz kommen. Dabei geht es nach wie vor um die Performance und Ergebnisentwicklung, die abhängig sind von der aktuellen Marktsituation, den Wettbewerbern und des aktuellen Marktwachstums.
Hinzu kommt das Vorhandensein von strategischen Leitlinien und Aufgaben wie:
- Förderung und Entwicklung von Mitarbeitern als die wichtigste Ressource für Zukunftsentwicklung
- Absatzreserven in existierenden Märkten suchen, diese nicht einfach „abhaken“ weil es mühsam ist
- Neue Märkte finden, die man noch nicht abdeckt (Regionen, Produkte oder Vertriebswege)
- seine Kernkompetenz und Innovationskraft prüfen hinsichtlich Märkte und Wettbewerb
- Analyse der operationalen Effizienz auf Steigerung der Arbeitsergebnisse und der Qualität
Die Anpassung an exponentiell wachsende Technologien und die globale Konkurrenz kann allerdings nur über eine Veränderung im Management-Mindset in Unternehmen von statten gehen. Anbei ein durchaus besorgniserregendes Studienergebnis, woher die Wissenschaftler in 2030 stammen werden:
Die Zukunft: Der beispiellose Erfolg der Technologieunternehmen u.a. im Silicon Valley basiert auf folgenden kulturellen Merkmalen, mit denen sich auch die „Generation Z“ identifiziert:
- Führen durch Vorbild
- Abkehr von Insignien der Macht
- Autonome Teams: der “Boss” ist out, der unternehmerisch mitdenkende Mitarbeiter ist in
- Förderung von smarten Talenten mit Potential
- Meritocracy statt Seniority, Reverse Mentoring und Orientierung an Trends der Youngster
- Wille zum permanenten Lernen, eine neue Fehlerkultur etablieren
- Verantwortung für die Nachwelt
Dies sind elementare Führungs- und Kulturthemen, die der Aufsichtsrat / Beirat in Gang setzen sollte, denn die Talente wandern ab. Der Aufsichtsrat / Beirat sollte beginnen, die traditionellen Anreiz- und Bonussysteme im Unternehmen zu überprüfen und dahingehend zu verändern, zu wieviel Wandel und Transformation die einzelne Führungskraft im Unternehmen persönlich beigetragen hat. Es braucht eine Veränderung der Unternehmenskultur und ein Verlassen der Komfortzone, damit innovative Ideen, die ein Faktorwachstum ermöglichen, gefördert und entwickelt werden. Daher sollte der Aufsichtsrat deutlich stärker als Takt- und Impulsgeber, Coach und Sparringspartner des Vorstands agieren und in Erscheinung treten. Die Zusammensetzung des Beirats im Mittelstand, zuweilen als Monokultur in Kontrollgremien und Führungsetagen, ist zu diskutieren, denn Großkonzerne agieren deutlich professioneller. Wäre es nicht sinnvoll bei der Zusammensetzung auf Fachkompetenz und Diversität (mehr weibliche Mitglieder, mehr KI & Digitalkompetenz, mehr Internationalität & Jugend, mehr Spezial Know-how) zu achten?
Die Aufgaben, Unternehmen in die Zukunft zu führen, sind vielfältig und aufgrund vieler externer Einflüsse nicht leicht zu prognostizieren. Dabei leisten privatwirtschaftliche Unternehmen in Deutschland über 70% der Wertschöpfung. Ihnen kommt in der Transformationsphase die Schlüssel-rolle zu. Eine Transformation in wachstumsstarke Segmente: Die geheimen Weltmarktführer haben es vorgemacht (vgl. Hermann Simon „Die Hidden Champions“, 2012) und sind/waren in Nischen-bereichen global überaus erfolgreich. Dies hat vor allem Gründe in Ihrer Technologieführerschaft.
Ein weiteres Geschäftsfeld kann die Transformation von einem reinen Produkterzeuger zu einem ganzheitlichen Anbieter von Produkten und Dienstleistungen, der nahtlos in Ökosysteme integriert ist, darstellen. Dies hat der Werkzeughersteller Würth unter Beweis gestellt. Sein Imperium begann mit der Schraubenherstellung und heutzutage ist der Industrieservice ein bedeutendes Geschäftsfeld.
Durch die Bereitstellung von Mehrwertdiensten wie Beratung, Schulung, Software und Wartung können Unternehmen ihre Wertschöpfungskette erweitern und neue Umsatzpotenziale erschließen. Die Integration von künstlicher Intelligenz und Digitalisierung spielt dabei bei der Transformation zum ganzheitlichen Anbieter und seiner Ökosysteme eine zentrale Rolle. Durch den Einsatz von KI-Technologien können Unternehmen personalisierte Dienstleistungen und maßgeschneiderte Produkte anbieten, indem sie Kundenpräferenzen analysieren und prognostizieren. Darüber hinaus ermöglicht die Digitalisierung die Schaffung digitaler Plattformen, die Unternehmen in die Lage versetzt, mit Kunden, Partnern und anderen Stakeholdern nahtlos zu interagieren. Diese Plattformen dienen als zentrale Anlaufstelle für den Austausch von Daten und Informationen in Echtzeit, was die Effizienz steigert und neue Synergien innerhalb der Ökosysteme und ihrer Klimaneutralität schafft. Die Integration von KI und Digitalisierung erhöht die Effizienz, verbessert die Kundenbindung und eröffnet neue Geschäftsmöglichkeiten in einem zunehmend digitalisierten Umfeld.
Dahingehend sollten Aufsichtsräte und Beiräte mit dem Vorstand und der Geschäftsführung in Strategiegespräche eintreten, um die Zukunftsfähigkeit der deutschen Unternehmen zu sichern.
Über den Autor: Michael Kieppe hat als CEO von Kaffee Partner eine der größten Vertriebsorganisationen in der DACH-Region geführt, die mit konsequentem Leadmanagement erfolgreich waren. Danach war er als Berater für den Tchibo Coffee Service und als Managing Director von Selecta in DE & AT verantwortlich. Zudem bekleidete er Führungspositionen bei Vamed, Sixt und Bertelsmann und war als Unternehmensberater u.a. für Cap Gemini Ernst & Young tätig. Er ist einer der erfahrensten Experten auf dem Gebiet des Multi-Channel-Managements & CRM-Systemen für den Mittelstand und deren Vertriebsorganisationen